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Interview

"Ich bin der Meinung, dass ein Mensch einen anderen Menschen schon verstehen kann."

Taran Alla im Gespräch mit Nadiia
Taran Alla im Gespräch mit Nadiia © Kateryna Senchenko

Im Juni 2022 wohnen etwa 3.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge in Potsdam. Man bemerkt sie im öffentlichen Verkehr, im Supermarkt und auf den Straßen. Wir sprechen mit Nadiia (59) über ihre Erfahrungen mit Deutschland und dem Deutschlernen. Sie ist Ende April nach Potsdam gekommen und hat unseren Deutschkurs ab Ende Mai besucht.

Wie waren Ihre ersten Erfahrungen mit der deutschen Sprache?
Ich habe bemerkt, dass viele Ukrainer*innen eine App benutzen, die Sätze direkt übersetzen kann. Ich kenne mich damit leider nicht aus. Wenn ich allein irgendwo hin musste, habe ich jemanden gebeten, mir auf Deutsch auf einen Zettel zu schreiben, was ich brauche. Zum Beispiel "Ein 9-Euro-Ticket für Juli bitte".

Wie fühlt es sich an, in einem Land zu leben, ohne die Sprache zu verstehen?
Ich bin der Meinung, dass ein Mensch einen anderen Menschen schon verstehen kann. Dies gilt aber nur bei einfachen Sachen. Um sich bei den Behörden verständlich zu machen, muss man sich im Voraus vorbereiten.

Was hat Ihnen bei unserem Deutschkurs besonders gefallen?
Die freundliche Atmosphäre. Die Lehrer*innen waren gut gelaunt und positiv eingestellt, obwohl wir viele Fehler gemacht haben. In der Pause gab es immer kleine Snacks, was auch sehr nett war.

Und gibt es irgendetwas, was Ihrer Meinung nach besser sein könnte?
Ich wünsche mir, dass es den Kurs mehrmals in der Woche gibt. Und noch etwas, was aber wahrscheinlich niemand ändern kann – man lernt bei einem Deutsch-Sprachkurs so etwas wie "Hallo, ich bin Nadiia", hat aber im alltäglichen Leben mit Wörtern wie "Zuweisungsbescheinigung" oder "Aufenthaltstitel" zu tun. Es hat gedauert, bis ich solche Wörter richtig aussprechen konnte.

Wie hat Ihnen der Kurs geholfen? Was können Sie jetzt sagen und erklären?
Ich kann erklären, dass ich ein Flüchtling bin und die Sprache nur ein bisschen kann. Ich kann nach einer Quittung fragen, wenn ich sie brauche. Natürlich kann ich die Höflichkeitswörter. Dazu kann ich fragen, wo die nächste Haltestelle oder ein Supermarkt ist.

Noch eine Frage, die für die Angehörigen der Hochschule interessant sein könnte: Wie unterscheiden sich die ukrainischen Studierenden von den deutschen Studierenden? Vielleicht ist Ihnen etwas aufgefallen?
Die Studentinnen und Studenten in Deutschland sehen viel entspannter aus. Eventuell hat es auch damit zu tun, dass die Regeln an der Hochschule locker sind. Ich habe erfahren, dass man die Gebäude der Hochschule einfach so betreten kann. In der Ukraine muss man dafür zwingend einen Studierendenausweis vorzeigen. Zudem gilt bei uns eine Anwesenheitspflicht und man wird meistens schon mit 16 oder 17 Jahren Studentin oder Student. Meine Tochter, die hier studiert, wundert sich immer noch, dass man mit Dozent*innen ganz unkompliziert reden kann und dass man sie sogar duzen darf.

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Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften

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